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Festival EMBRACE in Berlin – Wie Phoenix aus der Asche von Thomas Kröter

Im Herbst 2014, nach der ersten Ausgabe von EMBRACE, zog Autor Thomas Kröter in der Fachzeitschrift Tangodana einen posititve Bilanz. Hier der Artikel mit der freundlichen Genehmigung von Autor und Tangodanza.

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Der Schock war ebenso groß wie heilsam: Das größte und teuerste internationale Tangofestival, das je in Berlin hätte stattfinden sollen: Pleite noch vor dem ersten Schritt auf dem Parkett. Doch die Szene der Stadt, die sich so gern im Ruf eines europäischen Buenos Aires sonnt, mochte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Aus der gescheiterten „Experience“ von 2013 ist nun 2014 „Embrace“ geworden – ein Festival der neuen, ganz besonderen Art. Und ein Erfolg, der einlädt, auf diesem Weg weiter zu gehen.

Auf dem Weg zu „Embrace“ gab es einen besonderen Moment: Am 16. November 2013 feierte die tangobegeisterte Fotografin Ishka Michocka die Finissage ihrer Ausstellung in der Berliner Galerie „aquabit“. Selbstverständlich wurde getanzt. Und irgendwann kamen die Gäste auf die Idee, den Namen des Projektes in die Tat umzusetzen: „urban embrace“. Sie gingen hinaus auf die Auguststraße und umarmten jeden Passanten, der nicht schnell genug davonlief. Die meisten mochten es.
Genau das war es, was sie wollten, dachten sich Sven Elze und Horst Martin – Tangoprofi und Musiker der eine, der andere Hobbytänzer und PR-Fachmann im Filmbereich: Eine Umarmung der Tangogemeinde untereinander, aber auch für ihre Stadt und die vielen Gäste, die jedes Jahre nach Berlin kommen, nicht nur zum Tango tanzen. Für die gemeinsame Idee, mit der die Szene längst schwanger ging, gab es nun einen Namen.

Im Grunde hatte sie schon an jenem Abend im August 2013 begonnen, da Sven Elze die Tänzer einer kostenlosen „Trostmilonga“ im Berliner Traditionstempel „Ballhaus Rixdorf“ begrüßte, weil sie vor den verschlossenen Türen des Berliner Rathauses gestanden hatten, in dessen Säulenhalle der festliche „Experience“-Eröffnungsball hatte stattfinden sollen. Der künstlerische Koordinator des Festivals hatte selbst erst kurz zuvor von dem Desaster erfahren. „Das kann’s nicht gewesen sein“, dachte nicht nur er, sondern auch viele andere in Berlin.

In der Szene wurde in den folgenden Monaten viel diskutiert, ab Januar 2014 an „Runden Tischen“. Auf Einladung von Michael Rühl, Thomas Rieser und Judith Preuß, dem Veranstalter-Trio des pausierenden Internationalen Festivals, sowie Horst Martin und Sven Elze kamen etwa 100 Tänzer, Lehrer, Veranstalter, DJs und Musiker zusammen, um auszuloten ob und wie wieder ein großes Festival in Berlin zu organisieren sei. Ende Februar 2014 wurde die Ankündigung auf Facebook veröffentlicht, ohne dass es zu diesem Zeitpunkt schon ein vollständiges Programm gegeben hätte. Selbst nachdem im April der Flyer in Druck gegangen war, kamen noch Veranstaltungen hinzu.
Insgesamt sind es dann rund 30 geworden. Programmtisch der Auftakt im „Ritter Butzke“ einem angesagten Berliner Techno-Club: Schaut her, wir tanzen Tango auch dort, wo normalerweise sonst ganz Anderes stattfindet. Weil das Wetter mitspielte, konnte auch viel unter freiem Himmel getanzt werden, nicht nur beim „Hit and run“ an verschiedensten Plätzen der Stadt.

EMBRACE baut auf der Substanz auf

Das wichtigste an „Embrace“: Es war eine Basis-Veranstaltung. Sie fasste für eine Woche Anfang Juni dieses Jahres die Vielfalt der Berliner Tangoszene zusammen (den größten Teil davon jedenfalls) und verband sie mit einigen internationalen Highlights – an der Spitze die Show „Worldstars of Tango Argentino“ mit Chicho Frumboli und Juana Sepulveda, Ruben und Sabrina Veliz sowie dem „Orchesta Solo Tango“ aus Russland.
Die Show im Admiralspalast war ausverkauft. Die Mehrheit der begeisterten Besucher kam nicht aus der Tangoszene. Aber die Stars haben Workshops an mehreren Orten gegeben. Allein hätte sich das keiner der Gastgeber leisten können. Auch „Solo Tango“ wäre trotz eines Eintrittspreises von 20 Euro ohne das Showgastspiel als Liveband für eine Milonga im „Tango tanzen macht schön“ nicht zu finanzieren gewesen. Dass auch die Musiker Spaß daran hatten, in einem für sie kleinen Rahmen zum Tanz aufzuspielen, belegen die vier Zugaben, die sie Schweiß überströmt gegeben haben. So profitierten Gastgeber und Stargäste. Und die Tänzer.

„Tango lässt sich hierzulande als durchkommerzialisierte Großveranstaltung ohne Subventionen kaum noch rentabel organisieren“, fasst Horst Martin, seit vielen Jahren im Kulturbereich tätig, seine Beobachtungen zusammen. Höher als der organisatorische Aufwand sind nur die Kosten – und damit das ökonomische Risiko. Alle drei zu minimieren und trotzdem ein attraktives Programm zu bieten, war der Grundgedanke von „Embrace“. Die Veranstalter einigten sich auf ein gemeinsames Dach, aber jeder trug nur das Risiko seines eigenen Beitrags. Selbstverständlich musste das Ganze koordiniert werden, Kosten wie für Flyer oder Anzeigen wurden von einzelnen übernommen Das hat nicht zuletzt deshalb funktioniert, weil das organisatorische Zentrum ehrenamtlich arbeitete.

Veranstalter kooperieren

Der Schlüssel liegt aber im Veranstalterprinzip. Der Berliner Embrace hat etwas vom Kölner Kneipenkarneval: „Dort macht auch jeder Wirt seins“, sagt Horst Martin, „und trotzdem sind alle nur gemeinsam eine so starke Marke.“ Welche Marke im deutschen Tango wäre stärker als Berlin? Selbstverständlich fordert so eine Kooperation Rücksichtnahme auf einander und eine Minimierung des Konkurrenzverhaltens. Dafür war der Boden bereitet: Auch im Tagesgeschäft gibt es in der Berliner Szene seit langem viele Kooperationen, beispielsweise der Austausch von Lehrern zwischen den Schulen.

Wer wo wie viele Besucher angezogen hat, weiß niemand, weil es bei Embrace nach dem Prinzip des getrennten Risikos keinen gemeinsamen Festivalpass gab. Die Facebook-Seite hatte mehr als 1200 „Gefällt mir“-Klicks. Die Veranstaltungen der bekannten Schulen waren gut bis bestens besucht, darunter Tänzer aus anderen Städten, aber auch aus dem Ausland.

Zu den Fragen für die Zukunft des „Embrace“ gehört darüber hinaus, wie Berlin aus seinem großen Potential mehr macht, als ohnehin stattfindende Veranstaltungen gemeinsam zu präsentieren. Die Tänzer und Musiker der heimischen Szene sollten auch in Shows noch besser gestellt werden. Dass Berliner Tanzlehrer aus unterschiedlichen Schulen gemeinsam auf der Bühne stehen, ist eine Tradition, die nur wiederbelebt werden müsste. Damit es 2015 wieder ein, womöglich noch attraktiveres „Embrace“-Festival geben kann, muss in diesem Herbst die Entscheidung fallen. „Wenn die Szene es will“, verspricht Sven Elze, „sind wir bereit.“

EMBRACE wird seither erfolgreich fortgesetzt – der Termin ist weiterhin an Pfingsten (Anm. der Red.)

Über den Autor

Thomas Kröter ist renommierter Zeitungsjournalist, langjähriger Hauptstadtkorrespondent  und passionierter Tangoblogger. Seinem hintergündigen Online-Blog mYlonga, und seinem Facebook-Account folgen vielen Freunde und Liebhaber des Tangos, die sich über die Milonga hinaus mit dem Tango beschäftigen. Seine mit spitzer Feder verfassten Beiträge zu Musik, Kultur und Trends begeistern seine Leserschaft.