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EMBRACE 2019 und BERLIN OPEN

Interview mit den EMBRACE-Initiatoren Sven Elze und Horst Martin und Contest-Veranstalterin Mimi Hirsch zum Embrace-Festival 2019 und der ersten Auflage des Tango-Contest.

Was wird anders beim EMBRACE-Festival, im Vergleich zu den letzten Jahren?

Sven: EMBRACE ist ein offener Rahmen, in dem jedes Jahr etwas Neues, Anderes und Besonderes möglich ist. Bei der 6. Ausgabe sind das die erste Auflage des Berlin Open Tango Contest und der Tango-Festakt zum 25-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft von Berlin und Buenos Aires. Natürlich kommen neue Orte hinzu, der berühmte Prachtsaal im Roten Rathaus ebenso wie das Refugio Kulturhaus im Szenekiez Kreuz-Kölln.

Horst: Durch den BERLIN OPEN Tango Contest kommen neue Energien und auch neue Gäste ins Festival. Es ist ein absolutes Novum und in gewisser Weise ein Abenteuer. Wir freuen uns jetzt schon über das starke Interesse und den großen Rückhalt. Es wäre natürlich super, wenn wir den Tango durch den Contest stärker in den öffentlichen Raum bekommen.

Was gibt es an völlig Neuem? Vielleicht Innovationen oder Ideen, die so bei Embrace noch gar nicht da waren? Vielleicht ist etwas Riskantes dabei? Etwas, das bisher ausgelassen wurde?

Horst: Einen Contest in Berlin zu machen schien jahrelang undenkbar. Wie kann man im Tango überhaupt sagen, dass jemand besser tanzt als jemand anderes? Ich kenne das aus meinem Brotberuf in der Filmbranche. Dort ist es bestimmt nicht einfacher – und doch vergeben die Filmfestivals ihre Preise. Die großen A-Festivals übrigens genauso wie die Indie- oder Arthouse-Festivals. Ich denke: Die Wertigkeit der Preise entsteht durch viele Faktoren, wichtig ist aber die Jury.Und wir vergeben auch einen Publikumspreis, bei dem jeder abstimmen darf.

Mimi: Das besondere an BERLIN OPEN ist, dass sich der Contest nicht nur an Profis und angehende Profis richtet, sondern explizit auch an Amateure. Es werden insgesamt zehn verschiedene Preise verliehen! Mit BERLIN OPEN wollen wir Menschen zusammenbringen. Wir haben die vielleicht vielfältigste und größte Jury unter den Contests. Mitglieder unterschiedlicher Stile, Generationen und Herkunft sind dabei.Das „open“ im Titel ist ernst gemeint: Wir sind sowohl offen für alle Stile solange sie rondakompatibel sind, als auch für queere Paare und vor allem für Menschen aus der ganzen Welt.

Wo entwickelt ihr auch einfach Dinge weiter, die bis jetzt gut geklappt haben?

Sven: Es hat sich total bewährt, dass die Gastpaare von Schulen und Veranstaltern eingeladen werden. Horacio Godoy & Cecilia Berra, die vom TangoKollektiv eingeladen werden, und Jonathan Saveedra und Clarisa Aragon, die wieder im Mala Junta sind, passen perfekt zu Berlin und unterschiedlichen Tangoszenen. Wir sind schon sehr gespannt auf Carlos und Mirella Santos David, die auf Einladung der Academia de Tango Berlin erstmals zu uns kommen.

Horst: Die Grundidee – eine tangospezifische Fusion aus der Berlinale und dem Kölner Kneipenkarneval – EMBRACE arbeitet. Natürlich kommt jedes Jahr immer etwas Neues heraus.

Ich nehme mal nicht an, dass bei so einem Riesenevent sehr viel finanzielle Bereicherung für die einzelnen Akteure rausschaut, richtig? Was ist also der treibende Motor für dich/euch?

Horst: Wir möchten mit Embrace ein Erlebnis schaffen, das Menschen für den Tango begeistert. Dass jedes Jahr etwas Neues geschieht, neue Partner mit machen und sich neue Räume öffnen – das ist für uns als Initiatoren und Koordinatoren etwas Besonderes.

Sven: Im vergangenen Jahr war ein argentinisches TV-Team mit Mora Godoy hier, um einen ganzen Film über Embrace und Berlin zu drehen. Als wir ihn angeschaut haben, fühlten wir uns total dankbar, dass so viele Menschen gewürdigt wurden, ohne die es in Berlin keinen Tango gäbe. Wenn wir jedes Jahr davon ein Stück sichtbar machen können, ist das wunderbar.

Wer bildet dieses Jahr das Kernteam? Wer ist noch so beteiligt? Wen ladet ihr an „Größen“ ein?

Horst: Embrace organisiert sich an Runden Tischen. Die einzelnen Programmpunkte – also Milongas und Workshops – werden von den jeweiligen Veranstaltern gemacht. Dadurch kommt es zu vielen Kooperationen, die Arbeit und Risiken aufteilen.

Sven: Horst und ich als Gründer und Koordinatoren sind natürlich immer dabei. Wir freuen uns, dass Michael Rühl, der die Berliner Tangofestival-Tradition begründet hat, und Judith Preuss vom Mala Junta seit Beginn dabei sind. In diesem Jahr ist Mimi Hirsch mit dem Tango Contest sehr stark beteiligt. Auch das Tangotanzen macht schön, Milongas wie Pippo oder Berlinos Aires bieten besondere Angebote bei Embrace.

Kommen wir zum Contest! Warum wollt ihr das? Geht’s bei Embrace nicht sehr um das Vielfältige, Soziale und schafft so ein Contest nicht wieder ein Wettbewerbsdenken?

Mimi: Meiner persönlichen Erfahrung nach bringt ein Contest Menschen vor allem zusammen. Ich selbst habe auf Meisterschaften unglaublich tolle Menschen getroffen, mit denen ich bis heute sehr eng befreundet bin. Es ist eine tolle Stimmung, und die Aufregung schafft vor allem Verbindung. Motivationen, warum Leute teilnehmen sind vielfältig. Manche suchen ein Ziel, um gemeinsam zu üben und ihren Tango weiterzuentwickeln, andere aus reinem Spaß, wieder andere um persönlich zu wachsen. Manche sind scharf auf tolle Preise und manche einfach auf den Kick der Erfahrung.

Habt ihr keine Angst, damit Leuten „auf den Schlips zu treten“, verärgerte Teilnehmer/innen zurückzulassen?

Horst: Man kennt das ja von Filmfestivals. Vieles hängt von der Einstellung der Paare ab: Wer den Contest tanzt, um ein besonderes Erlebnis zu haben, andere Paare aus anderen Ländern kennen zu lernen oder sich einfach weiterentwickeln will, ist nachher nicht enttäuscht. Wir haben zwar viele Kategorien, aber nicht jeder kann gewinnen. Natürlich weiß ich aus der Filmbranche, wie hilfreich ein Festivaltitel oder eine Nominierung für einen Preis sein kann.

Mimi: Ich weiß, dass es schon bei so mancher Meisterschaft TeilnehmerInnen gab, die sich auf den Schlips getreten fühlten. Wir geben alle Mühe einen transparenten und fairen Contest zu organisieren. Wir haben uns zum Beispiel für ein paar Neuheiten entschieden, die es so bislang nicht gibt: 1. Die Jury ist größer als bei allen anderen Wettbewerben, 2. Die Zusammensetzung der Jury wechselt zwischen den Runden und 3. werden die höchste und niedrigste Bewertungen automatisch gestrichen, um höchstmögliche Fairness zu gewährleisten.

Es gibt ja schon einige Contests in Deutschland, warum braucht es da noch einen? Was soll anders an dem sein als die in anderen Städten?

Mimi: Ja, da stimmt. Es gibt den Tango Contest in Münster, mit dem wir kooperieren und auf dessen Initiative BERLIN OPEN erst entstanden ist. Sie vergeben sogar einen Special Award bei uns. BERLIN OPEN bietet neben einer größeren Jury auch andere Kategorien und Preise. Zum Beispiel gibt es bei uns einen Talent Award, mit dem wir Leute honorieren, die weniger als zwei Jahre Tanzerfahrung haben oder einen Senior Award, bei dem beide Partner über 50 Jahre alt sind oder ganz besonders der Award Milonguer@ der Herzen, bei dem PartnerInnen gewechselt und einzig soziale Skills honoriert werden.  Darüber hinaus wachsen wir mit anderen Wettbewerben zusammen. Wir haben neben Münster Kooperationen mit London, Los Angelos, Istanbul bis nach Shanghai.

Horst: Es gibt eine Sache, worauf wir vorher schon stolz sind. Es gibt eine sehr breite Unterstützung in der Berliner Tangoszene. Das hätten wir uns vorher nicht träumen lassen. Es hat natürlich damit zu tun, dass Mimi Hirsch als „Campeona“ die entsprechende Expertise und Glaubwürdigkeit mitbringt.

Sven: Ganz ehrlich: Ich war immer sehr skeptisch gegenüber Wettbewerben. Wenn sie immer nur gleichförmige Siegerpaare produzieren, finde ich das fragwürdig. Daher bin ich wahnsinnig gespannt, was bei Berlin Open herauskommt. In der Jury sind nämlich völlig gegensätzliche Stile vertreten.

Gab es dazu im Embrace-Organisationsteam Einigkeit oder fanden das einige auch doof, unnötig, konträr zu ihren Zielen und Vorstellungen? Falls ja, wie habt ihr diese Einwände überstimmt / überzeugt? Oder machen das Mimi und du abgekoppelt von den Teamentscheidungen des Embrace-Festivals? (Ihr steht ja als einzige Organisatoren des Contests auf der Webseite).

Horst: Embrace ist ein offener Rahmen. Jeder, der etwas darin machen möchte, ist willkommen. Es geht dann weniger um das ob, sondern mehr um das wie. Wenn die Idee gut ankommt, erfüllt sie sich mit Leben. So einfach war das mit Mimis Initiative zum Contest. Beim Runden Tische waren wir von der Idee sofort begeistert.

Ist die Jury auf der Webseite aktuell vollständig benannt oder kommen da noch welche dazu? Wie habt ihr diese Jury ausgewählt, was zeichnet die Leute dafür aus (einige konkrete Beispiele, aber auch die Zusammensetzung)?

Mimi: Die Juryzusammensetzung auf der Webseite ist derzeit aktuell. Wobei es vielleicht noch eine Überraschung geben wird 😉 Alle Mitglieder zeichnet aus, dass sie ein tiefes Tangoverständnis haben. Da gibt es einerseits ganz junge Weltmeister wie Jonathan & Clarissa, die die ganzen Aufregung einer Meisterschaft kennen, als auch Altmeister wie Horacio Godoy, die durch ihren persönlichen Stil und Wissensschatz die Tangowelt prägen, aber auch Organisatoren wie zum Beispiel Michael Rühl, der seit über 35 Jahren den Tango in Deutschland prägt, viele ganz alte, alte und junge Meister persönlich kennt und als jahrzehntelanger Veranstalter auch einen Blick dafür hat, wen er zum nächsten Event einlädt.

Auf welche Weise wird das Publikum mitentscheiden?

Mimi: Das Publikum wird beim Finale ihr Lieblingspaar wählen. Es können alle Paare gewählt werden, die in der Kategorie Tango, Milonga oder Vals das Finale erreichen. Jede Person bekommt eine Stimme.

Warum hat Berlin überhaupt so lange gebraucht, einen Contest zu veranstalten, kleinere Städte mit wesentlich weniger Tangopotential rissen das eher an sich, warum nicht Berlin?

Horst (lacht): Berlin tut sich erst mal schwer mit Wettbewerben. Auch die Herta ist nicht immer Bundesliga… Im Ernst: In Berlin braucht man immer ein Konzept, das von BerlinerInnen, für BerlinerInnen und mit BerlinerInnen ist. In dem Contest steckt entsprechend viel Arbeit und noch mehr Begeisterung.


Einen ausführlichen Bericht bietet die Tangodanza in Ihrer Ausgabe vom März 2019